Im Land der letzten Dinge (German Edition) by Auster Paul

Im Land der letzten Dinge (German Edition) by Auster Paul

Autor:Auster, Paul [Auster, Paul]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783644018211
Herausgeber: Rowohlt (com)
veröffentlicht: 2012-08-31T22:00:00+00:00


Das Zimmer lag im achten, dem obersten Stockwerk des Gebäudes. Isaac eilte davon, sobald wir davor angelangt waren, nuschelte eine Entschuldigung, dass er nicht bleiben könne, und dann war ich plötzlich wieder allein und stand mit einer winzigen Kerze in der linken Hand in dem pechschwarzen Korridor. Ein Gesetz des Stadtlebens lautet: Klopfe nie an eine Tür, wenn du nicht weißt, was dahinter ist. War ich diesen weiten Weg gekommen, nur um neues Unheil auf mich zu ziehen? Samuel Farr war für mich nichts als ein Name, ein Symbol für unerfüllbare Sehnsüchte und absurde Hoffnungen. Er hatte mir als Ansporn gedient, mich nicht gehen zu lassen, aber jetzt, da ich es endlich bis vor seine Tür geschafft hatte, bekam ich Angst. Wenn die Kerze nicht so schnell heruntergebrannt wäre, hätte ich vielleicht nie den Mut gefunden anzuklopfen.

Aus dem Zimmer ertönte eine barsche, unfreundliche Stimme: «Gehen Sie.»

«Ich suche nach Samuel Farr. Ist das Samuel Farr da drinnen?»

«Wer will das wissen?», fragte die Stimme.

«Anna Blume», sagte ich.

«Ich kenne keine Anna Blume», erwiderte die Stimme. «Gehen Sie.»

«Ich bin William Blumes Schwester», sagte ich. «Ich versuche seit über einem Jahr, Sie zu finden. Sie können mich jetzt nicht wegschicken. Wenn Sie die Tür nicht aufmachen wollen, werde ich so lange klopfen, bis Sie es tun.»

Ich hörte einen Stuhl über den Boden scharren, verfolgte das Geräusch von näherkommenden Schritten und hörte dann einen Riegel aus dem Schloss gleiten. Die Tür ging auf, und jäh überschwemmte mich Licht, ein gewaltiger Schwall Sonnenlicht, das durch ein Zimmerfenster in den Korridor strömte. Meine Augen brauchten eine Weile, um sich darauf einzustellen. Als es mir endlich gelang, die Person vor mir auszumachen, sah ich als erstes eine Pistole – eine kleine schwarze Pistole, die genau auf meinen Magen gerichtet war. Es war tatsächlich Samuel Farr, aber mit dem Foto hatte er nicht mehr viel Ähnlichkeit. Der kräftige junge Mann auf dem Bild war eine hagere bärtige Gestalt mit dunklen Ringen unter den Augen geworden, und sein Körper schien eine nervöse, unberechenbare Energie auszustrahlen. Er sah aus wie jemand, der einen Monat lang nicht mehr geschlafen hat.

«Wie soll ich wissen, dass Sie diejenige sind, für die Sie sich ausgeben?», fragte er.

«Weil ich es sage. Weil es dumm von Ihnen wäre, mir nicht zu glauben.»

«Ich verlange einen Beweis. Ohne Beweis werde ich Sie nicht hereinlassen.»

«Sie brauchen mir nur zuzuhören. Mein Akzent ist derselbe wie Ihrer. Wir stammen aus demselben Land, derselben Stadt. Wahrscheinlich sind wir sogar im selben Viertel aufgewachsen.»

«Jeder kann eine Stimme nachmachen. Da werden Sie mir schon mehr bieten müssen.»

«Wir wär’s damit», sagte ich, griff in meine Manteltasche und zog das Foto heraus.

Er betrachtete es zehn, zwanzig Sekunden lang, ohne ein Wort zu sagen, und langsam schien sein ganzer Körper zu schrumpfen, in sich selbst zu versinken. Als er wieder zu mir aufblickte, sah ich, dass die Pistole an seiner Seite herunterhing.

«Großer Gott», sagte er leise, fast flüsternd. «Wo haben Sie das her?»

«Von Bogat. Er gab es mir vor meiner Abreise.»

«Das bin ich», sagte er. «So habe ich mal ausgesehen.



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